Klangwerkstatt Berlin

Festival für Neue Musik


4. bis 15. November 2016

Dopplung



„Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe“. Der Satz, üblicherweise auf den moralischen Gehalt von Handlungen bezogen, trifft auch zu, wenn man ihn auf die Musik anwendet. Mit Wertungen und mit dem reinen Vergleich kommt man hier allerdings nicht weit. Das neue Dritte, das entsteht wenn in der Musik zwei das Gleiche tun, sprengt von Anfang an die Polarität im Bild der Zweiheit.

Dopplung soll in diesem Sinne das Motto der Klangwerkstatt Berlin 2016 sein.

Stellen Sie sich vor: Eine Flöte und eine Violine. Beide spielen gleichzeitig den gleichen Ton. Ein Unisono. Das Gleiche ist offensichtlich, das Verschiedene ist komplex und überraschend weit von den beiden Ausgangspunkten entfernt. Eine neue Klangfarbe entsteht. Magie. Aristoteles‘ metaphysische Erkenntnis, die in einem anderen, geläufigen Satz zusammenfließt, ist ohrenfällig: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“

Spielen die beiden Instrumente den gleichen Ton nacheinander, erscheint in der zeitlichen Abfolge eine andere, eher semantische Eigenschaft von Dopplung. Die Figur der Tonwiederholung wird je nach Zusammenhang ganz gegensätzlich gelesen und empfunden. Sie kann Bestätigung sein, aber auch das Gegenteil, Kontrast. Genauso aber können sich die Repetitionen in ihrer Bedeutung auch schlicht banalisieren, nivellieren und gegenseitig aufheben.

Dopplung beschreibt an sich nur ein Verfahren im Umgang mit den Dingen. In der Musik tun sich dabei große Interpretationsund Erlebnisräume auf.

Dopplung kann sich auf Instrumente oder Klangmaterial beziehen. Sie kann die Gegenüberstellung oder Wiederholung von Ensemblekonstellationen, einzelner Stücke, und ganzer Konzertformate meinen. Gleichzeitigkeit erzeugt sie dabei völlig andere Räume als Aufeinanderfolge.

Dopplung kann auch bedeuten, einen Instrumentalklang über Lautsprecher zu verlängern oder andere Formen von Abwandlungen zu etablieren. Gedoppeltes kann zu Komplementen oder sogar zu Gegensätzen werden. Es wirkt etwas paradox, impliziert Dopplung doch ein Spiel mit identischen Objekten, Verläufen oder Zuständen.

Selbst die üblicherweise als Nicht-Musik wahrgenommene Zeit der Konzertpause wird zur einer dramaturgischen Größe und bekommt bei der Gegenüberstellung zweier Programmteile oder Einzelstücke neue Bedeutung. Sie ist sowohl Trenner als auch Bindeglied und integraler Bestandteil einer musikalischen Inszenierung.

Mit Dopplung schickt sich das Programm der Klangwerkstatt Berlin 2016 an, einen eigenen Kosmos zu kreieren und ein sensibles und sensibilisierendes Wahrnehmungsnetz zu spinnen.

In über 25-jähriger Tradition präsentiert das Festival experimentierfreudige und lebendige Aufführungen hochkarätiger, aktueller Musik. Auf gleicher Augenhöhe und auf höchstem Niveau arbeiten professionelle Ensembles und Komponisten mit Studenten, Musikschülern und Jugendensembles.

Dopplung ist dabei ein als roter Faden getarnter offener Raum.

Stefan Streich