Als ich im vergangenen Jahr mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Freien Jugendorchesterschule Berlin auf dem Weg zu einem Konzert an der innerkoreanischen Grenze war, fuhren wir längere Zeit am Fluss „Imjin“ entlang, der streckenweise auf südkoreanischer Seite mit Stacheldraht und auf der nordkoreanischen durch die "Demilitarisierte Zone" begrenzt ist. Ich erinnere mich an die bedrückende Atmosphäre, die sich durch die geradezu unheimliche Abwesenheit eines jeden Bootes und die Unmöglichkeit, an diesen Fluss zu gelangen, manifestierte. Deshalb der Titel des Stücks IMJIN – Fluss ohne Ufer. Ich ließ mich bei der Entstehung dieser kleinen Komposition von der koreanischen Musik inspirieren – insbesondere der für die 12saitige Gayageum (Wölbbrettzither). Ich verwendete für das Stück zunächst die zwölf Grundtöne des Instruments und die für die in der traditionellen Gayageum-Musik charakteristischen Arpeggien und Verzierungen (Bebungen und Schleifer auf den Tönen g beziehungsweise d). Später kommen durch die Harfe drei weitere Töne (f, fis und h) hinzu, die erst störenden Charakter haben. Sie ergänzen die 12 bereits verwendeten zu der Melodie des berühmten koreanischen Liedes „Der Obstgartenweg“. Das Zitat dieses Liedes mit der Textzeile „die Beiden sprachen noch kein Wort, sahen einander jedoch mit einem schüchternen Lächeln an“ stellt hier somit eine Versöhnung und eine Wendung zum Positiven dar – verbunden mit Hoffnung und Zuversicht für uns alle. (Rainer Feldmann)
Apples entstand als Auftragswerk für das Kinderorchester der St. Kilda Primary School in Melbourne, Australien, und wurde dort 2017 mit großem Erfolg uraufgeführt. Das Stück begleitet Äpfel durch die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Äpfel machen allerlei schräge Dinge: Sie unterhalten sich, laut oder flüsternd, sie nehmen Musik auf oder sie fliegen sogar – was mir hier in Berlin beim Ausprobieren schon den Kommentar „das ist ja total bekloppt“ eingebracht hat. (Jobst Liebrecht)
In Jetzt ist aber Schluss suche ich die Kommunikation mit den Mitwirkenden über den Notentext der instrumentalvokalen Partitur hinaus: Die Reflexionen und Reaktionen der Kinder und Jugendlichen aus Deutschland und Korea auf den Untertitel „99 Arten eine Grenze zu beschreiben oder was man alles auf einer Grenze machen kann“ spinnen sich als Leitfäden durch das Stück. Ihre Fragen und Antworten sind von ähnlicher gesellschaftspolitischer Relevanz wie der Text, den ich ins Zentrum der Partitur stelle: Der Artikel „Die Grenze“, den Kurt Tucholsky alias Peter Panter 1920 in der Berliner Volkszeitung gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit zu Beginn der Weimarer Republik veröffentlichte, ist Zeugnis drängender Zeitlosigkeit und Aktualität. (Helmut Oehring)
Die Freie Jugendorchesterschule ehrt in diesem Jahr den australischen Komponisten George Dreyfus, der am 22. Juli seinen 90. Geburtstag gefeiert hat und eigens für unser Konzert aus Australien nach Berlin anreist. Die Kinderoper The Takeover von 1967 wurde nach dem Vorbild von Paul Hindemiths Kinderkantate „Wir bauen eine Stadt“ entworfen. Sie versucht, den aufklärerischen und encouragierenden Gestus der Reformbestrebungen der Neuen Sachlichkeit, wie er von Eisler und Dessau auch in die Schulmusik der DDR weitergetragen wurde, in Australien neu zu verorten. Zu diesem Zweck erfand George Dreyfus in „The Takeover“ eine eigentümliche an der Folk Music der Einwanderer angelehnte sachliche Tonsprache, der es immer um Zugänglichkeit und Verständlichkeit geht, war doch das Vorhaben, sie überall in Schulen, Communities oder gar „in the bush“ aufführen zu können. Die Instrumentation kann an die bestehende Aufführungssituation angepasst werden. Alles orientiert sich an der Idee einer „community action“: Alle Mitwirkende, Erwachsene und Kinder, sollen eingebunden werden. Das Thema der Kinderoper, der Landraub an den Aborigines sowie der unauflösliche Gegensatz von archaischen Riten und kapitalistischem Rationalismus und Geschäftsdenken, hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Allerdings wäre es George Dreyfus nach eigenen Angaben heute nicht mehr möglich, ein optimistisches Ende, das vom Fortschrittsglauben zumindest teilweise noch beseelt ist, in der Form zu entwerfen, wie es in „The Takeover“ am Ende steht. Eine Versöhnung der angesprochenen Konflikte – gar noch durch die Kinder – ist nach wie vor in unerreichbarer Ferne, zumal das Thema im Moment von der drohenden ökologischen Katastrophe her noch einmal eine ganz neue Dimension erfährt. Die Mitwirkenden der Aufführung sind teilweise George Dreyfus seit vielen Jahren verbunden. (Freie Jugendorchesterschule Berlin)