Klangwerkstatt Berlin

Festival für Neue Musik


1. bis 18. November 2018

Freitag 2.11.

No Border, No Boredom

19.00 Uhr Kunstquartier Bethanien

Vokalensemble AuditivVokal

  • Graciela Paraskevaídis Schattenreich (1972) für zwei Soprane, Tenor, Bariton
  • Hans-Joachim Hespos bikoku (1987) (aus: Tras – drei Arien) für Männerstimme
  • Kunsu Shim For Here But (2014) für Sopran, Mezzosopran, Alt, Tenor, Bariton, Bass
  • Steffen Schleiermacher An sich (2009) für Bariton und Holzblock
  • Amir Shpilman Situation Object (2014) für Frauenstimme (et al.)
  • Dieter Schnebel nostalgie (1962) für einen Dirigenten
  • Gerhard Stäbler Gerissene Dämpfe (2017) für Sopran, Mezzosopran, Alt, Tenor, Bariton, Bass

Vokalensemble AuditivVokal Dresden Katharina Salden, Angela Wingerath – Sopran | Marlen Bieber – Alt | Jonas Finger, Carl Thiemt – Tenor | Cornelius Uhle – Bass | Olaf Katzer – Künstlerische Leitung | Peter Motzkus – Dramaturgie | Cornelius Uhle – Produktionsleitung

Ensemble AuditivVokal vor Werken Gerhard Richters im Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden © Gerhard Richter 2018
Ensemble AuditivVokal vor Werken Gerhard Richters im Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden © Gerhard Richter 2018

No Border, No Boredom bringt Publikum und Interpret/innen an den Rand ihres ästhetischen und zwischenmenschlichen Fassungsvermögens. Distanz = null.

Schärfste Kontraste zwischen extrovertierten Stücken in unmittelbarer Nähe zum Publikum und ruhige „Klanginseln der Seligen“ wie im ruhigen, kontemplativen Duktus von Graciela Paraskevaídis' Schattenreich, in dem die Stimmen wie durch den Nebel eines Limbus mäandern. Die Schwelle zur Lichtwelt des Hier und Jetzt sind nurmehr undeutlich wahrnehmbar.

In jeglicher Hinsicht anders ist Hans-Joachim Hespos' bikoku. Eine offensichtlich verrückte Gestalt torkelt hustend, niesend, lachend und schreiend aus der Mitte des Publikums durch die Stuhlreihen und bahnt sich seinen Weg zur Bühne. Hespos’ Arie ist eine Borderline-Synopse.

Wieder als eine „Insel“ fungiert For Here But… von Kunsu Shim. Das Stück bewegt sich an den Grenzen zwischen Individualität und Einsamkeit, zwischen akkordischen und rezitativischen Momenten, zwischen „Gebet“, „Metaphysik“ und „Feierlichkeit“.

Steffen Schleiermacher vertonte An sich des Barockdichter Paul Fleming zu den traurigen Jubiläen desDreißigjährigen Krieges (1618-48) als ein mahnendes, enervierendes Beispiel „innerer Emigration“. Dies geht einher mit inneren, geistigen, aber auch körperlichen Grenzüberschreitung, versinnbildlicht in der Selbstkasteiungsgeste eines steten Peitschenknalls. Physis und Metaphysis des Sängers werden Stück für Stück dissoziiert.

In Situation Object versucht Amir Shpilman unkontrollierbare und unfreiwillige Handlung, wie z.B. Lachen in authentischer Weise durch die kontrollierten Prozesse von Komposition oder Interpretation zu realisieren. Die Partitur provoziert eine Authentizität im direkten Einfluss der Sängerin als Person auf die Musik. „Energie“ wird zu einer musikalischen Kategorie.

nostalgie inszeniert ein Dirigat ohne Musiker. Der junge Dieter Schnebel will 1962 den Hörer/innen keine Klänge mehr aufzwingen. Es bleibt dem Publikum überlassen, sich eine Musik vorzustellen. Vielleicht genügen die Energie und die Bewegungen des Dirigenten und sind schon Musik?

Von Heinrich Heines Gedicht „Neuer Frühling“ inspiriert sind die vier zusammenhängenden Teile „allerwärts“, „Schleppe“, „bang“ und „schein-heilig“ in Gerissene Dämpfe von Gerhard Stäbler. Im dritten Teil erklingt in der allmählich akrobatisch werdenden Interpretation das Optophone-Gedicht KPERIOUM des Dadaisten Raoul Hausmann. Vom Heineschen „Neuen Frühling“, bis zur Unkenntlichkeit dekonstruiert, bleibt ohnehin nurmehr eine Ahnung… (AuditivVokal)