Kunstquartier Bethanien, Studio 1

Samstag 5.11., 15.00 Uhr – Videodokumentation

Ascolto

georg katzer ensemble Berlin

© Erik-Jan Ouwerkerk
© Erik-Jan Ouwerkerk

Programm

  • Stefan Streich
    Verstimme Dein Instrument deutlich(2022)
    für 5 - 8 Bläser und Streicher mit Harfe oder Klavier
  • Olga Rayeva
    3 Klavierstücke(2020)
    für Klavier solo+++Ein Videomitschnitt ist aus technischen Gründen leider nicht verfügbar+++
  • Ursula Mamlok
    2000 Notes(2000)
    für KlavierBearbeitet für Ensemble von Gerhard Scherer
  • René Kuwan
    Motu ProprioUA der Neufassung(2022)
    für Ensemble
  • Eunhye Joo
    Rein ins Vergnügen!(2021)
    für Ensemble
  • georg katzer ensemble
    ImprovisationUA(2022)
    für Ensemble
  • Helmut Zapf
    G – Musik über und für G – the second time(2022)
    für Flöte, Saxophon, Trompete, Violine, Violoncello, Klavier, Akkordeon, Percussion

georg katzer ensemble Berlin

Malin Sieberns – Flöte | Sebastian Lange – Saxophon, Klarinette | Katarina Vowinkel – Trompete | Diego Romano – Violine | Dina Bolshakova – Violoncello | Zhifeng Hu – Klavier | Raphael Kopp – Akkordeon | Christoph Lindner – Percussion
Leitung: Gerhard Scherer


In Andenken an den 2019 verstorbenen Berliner Komponisten Georg Katzer entstand im gleichen Jahr das georg katzer ensemble Berlin. Seine Mitglieder sind herausragende Instrumentalsolist:innen, die aus dem Landesjugendensemble Neue Musik Berlin kommen und sich am Ende ihres Studiums als Profiensemble formierten. Der Titel des Konzertes nimmt Bezug auf Georg Katzers Stück La scuola dell'ascolto 5 – die Schule des (Zu-)Hörens. Es entstand als Auftragswerk des Ensembles als letztes von Katzers Werken kurz vor dessen Tod.

Das Ensemble hat seit seinen Anfängen eine feste Besetzung (Flöte, Klarinette/Saxophon, Trompete, Violine, Violoncello, Klavier, Akkordeon, Percussion). Anspruchsvolles Ziel des Ensembles ist es, Programme zu spielen, die in ihren Stücken jeweils die volle Ensemblebesetzung nutzen. Um dies zu erreichen, gibt das Ensemble neue Werke in Auftrag – immer wieder auch an junge, zum Teil noch studierende Komponist:innen aus Berlin.

Am Anfang des Konzertes steht ein Stück, das – wie ein verborgener roter Faden – an einigen Stellen im Programm der diesjährigen Klangwerkstatt Berlin auftaucht und auf eine Ereignis Bezug nimmt, das wie kein anderes das Jahr 2022 geprägt hat. Stefan Streich (*1961) schreibt über sein Werk Verstimme Dein Instrument deutlich:

Es geht nicht darum, politische Filme, sondern politisch Filme zu machen. (Jean-Luc Godard, 1930 – 2022) Am 24. Februar 2022 hat Putin sein Militär die Ukraine überfallen lassen. Verstimme Dein Instrument deutlich entstand als Reaktion darauf, wie aus einem Reflex am 25. Februar und am 1. März 2022.

Diese Musik ist allen Menschen gewidmet, die sich diesem Verbrechen entgegenstellen. Es soll im Gedenken an die Opfer erklingen. Und diese Musik handelt von Gemeinschaft. Sie will eine Art Gegenraum sein zur automatisierten Folge von Hierarchie, Macht und Missbrauch.

Wie jede Musik kann auch dieses Stück die Gewalt nicht stoppen. Meine Hoffnung ist aber, daß es Trost und Mut spenden möge.“ (Stefan Streich)

Es folgen zwei Werke für Klavier – eins in der originalen Solobesetzung, das andere in einer Bearbeitung für Ensemble. Leben und Werke beider Komponistinnen Olga Rayeva und Ursula Mamlok sind mit der Stadt Berlin eng verbunden. Olga Rayeva (*1971), deren 3 Klavierstücke von der Pianistin des Ensembles Zhifeng Hu vorgestellt wird, wurde in Moskau geboren und studierte dort am Staatlichen Tschaikowski Konservatorium u. a. bei Yuri Butsko und Edison Denisov. Seit längerem lebt sie als Komponistin in Berlin.

Die Komponistin Ursula Mamlok (1923-2016) wurde in Berlin geboren und verbrachte hier ihre Kindheit. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten verfolgt, verließ Ursula Mamlok gemeinsam mit ihrer Familie Berlin und flüchtete 1939 nach Ecuador. 1940 bekam sie ein Stipendium an der Mannes School of Music und ging als Siebzehnjährige allein nach New York. Sie studierte in den folgenden Jahren Komposition und wurde zu einer der bedeutendsten Komponistinnen der USA. 2006 – nach fast 70 Jahren in den USA – kehrte sie nach dem Tod ihres Mannes Dwight Mamlok nach Berlin zurück, wo sie 2016 starb.

Im Jahr 2000 komponierte Ursula Mamlok mit 2000 Notes eines ihrer wichtigsten Werke für Klavier solo. Es ist eine vierteilige Suite von außergewöhnlicher Klarheit und ausgewogenem Klang. Es zeichnet sich durch einen komplexen Rhythmus aus, der organisch mit der Hauptstruktur der Sätze verwoben ist. Die vier Sätze sind in fast klassischer Form komponiert: ein Sonatenallegro, ein Scherzo, ein langsamer Satz und ein Finale, die in Miniaturform erscheinen. Durch die Positionierung des Scherzos an zweiter Stelle wird der langsame Satz zum Zentrum des Zyklus.

Dieses kurze, aber prägnante und kontrastreiche Werk Mamloks animierte Musiker:innen schon mehrfach zur Bearbeitung für verschiedene Besetzung. Heute hören wir die Uraufführung von Gerhard Scherers Bearbeitung für das georg katzer ensemble Berlin.

Auch das Stück Motu Proprio (UA) ist eine Bearbeitung, allerdings durch den Komponisten selbst. René Kuwan (*1983), aktuell Student bei Hanspeter Kyburz an der HfM Hanns Eisler Berlin, schreibt über sein Stück:

Motu Proprio bedeutet so viel wie: aus dem eigenen Beweggrund; von selbst; ohne Anfrage und Anregung von außen. Die Urfassung des Stückes entstand im Jahr 2018, sinngemäß genau auf diese Art und Weise. Es konnte frei, ohne äußere Vorgaben, wie z. B. Besetzung oder Länge gestaltet werden, was der grundsätzliche Unterschied zu Stücken ist, die auf Anfrage von Ensembles, Veranstaltern oder durch anderweitige Aufträge entstehen. Die Intention war in diesem Fall, ein möglichst unkonventionelles Stück zu schreiben, was in Hinsicht auf Form, Dramaturgie, Instrumentation und Verarbeitung des musikalischen Materials versucht, eigene, neue, gegebenenfalls auch radikale Wege zu gehen, deren ‚Funktionieren‘ nicht durch die Konvention geprüft sind und so auf der einen Seite ein gewisses Risiko beinhalten, aber auf der anderen Seite eben auch die Chance, dass etwas wirklich Neues entstehen kann. Im Jahr 2022 wurde eine Neufassung des Stückes für das georg katzer ensemble erarbeitet, die in den Grundzügen noch dem ursprünglichen Stück entspricht, aber durch Umarbeitung für eine abweichende Besetzung – vor allem durch das Akkordeon - eine neue, kraftvolle, warme und farbenfrohe Gestalt erhält. Herzlichen Dank an Gerhard Scherer und das georg katzer ensemble!“ (René Kuwan)

Die junge koreanische Komponistin Eunhye Joo (*1996), nach einem Abschluss an der Hanyang Universität und zahlreichen Meisterkursen aktuell Studentin in Mannheim bei Sidney Corbett, begibt sich mit ihrem Stück Rein ins Vergnügen! auf Spurensuche in die Kindheit. „Einmal waren wir Kinder“, schreibt sie, „und jetzt sehe ich durch ein anderes Kind meine vergangene Kindheit an. Bei diesem Stück handelt sich um eine Betrachtung der ‚glänzenden Endlichkeit‘. Wir haben sie schon erlebt, Kinder erfahren sie, und nachfolgende werden sie erleben. Die meisten Kinder sind fröhlich und haben eine heitere und bewegliche Energie. Der Ort, an dem Kinder, diese Wesen der ‚glänzenden Endlichkeit‘ am kindlichsten werden, ist der Spielplatz. Schaukeln, klettern, rutschen und hüpfen. Auf dem Spielplatz haben die Kinder so viel Spaß. Und nicht nur das: ihre Energie wird von ihnen musikalisch ausgedrückt. Lasst uns zu einem Ort gehen, wo reine Freude herrscht!“ (Eunhye Joo)

Nach einer Gruppenimprovisation, die das georg katzer ensemble zusammen mit ihrem in Komposition und Improvisation außerordentlich erfahrenen Leiter Gerhard Scherer erarbeitet hat, steht mit G – Musik über und für G – the second time (2022) für Ensemble abermals ein Auftragswerk des Ensembles auf dem Programm. Der Komponist Helmut Zapf (*1956), Freund und Förderer des georg katzer ensembles seit seinen Anfängen, schreibt zu seinem Stück:

„Das Werk ist für das georg katzer ensemble Berlin, auf Anregung seinen künstlerischen Leiters Gerhard Scherer und im Auftrag der Musikschule Neukölln komponiert. Es ist eine Hommage an meinen lieben Lehrer Georg [Katzer], daher ist es nur unschwer zu erraten dass der Titel G – Musik über und für G seinen Vornamen widerspiegelt. Aber ebenso den Namen von Gerhard Scherer mit dem mich seit Anfang der 1990er Jahre unendlich viel verbindet: Durch ihn lernte ich nicht nur das wunderbare Instrument Akkordeon kompositorisch zu lieben und schätzen, durch ihn und mit ihm hatte ich so zahlreiche musikalische Erlebnisse durch Konzerte mit ihm. Also ist das Stück eine Variation über den Ton G. G die Quinte von C, C ein Bestandteil aus dem Wort Scherer, wie das S (in der Musik ist es der Ton ES) und das E ist bei beiden Namen ebenso enthalten und in unserer Deutschen Notenbenennung auch. So ergab sich ein Klang, ein sehr ‚abgenutzter‘ Klang: C Es/E G und H. Ein Dur- und Molldreiklang mit großer Septime. Diese Töne sind die Basis des Werkes. Nun genug von dieser Theorie.

Als ich mit der Komposition begann, begann der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Schock setzte ein, daher wählte ich einen neuen Anfang, einen Anfang aus Blechbüchsen im Schlagzeug. In meiner Kindheit gab es im Fernsehen die wunderbare Geschichte der ‚Blechbüchsenarmee‘ von der Augsburger Puppenkiste. Eine Geschichte, die das Militär entlarvte. Ich wollte diesen blechernen, ‚dummen‘, aber dumpf klirrenden Klang von Blechbüchsen. So verweist der Untertitel the second time auf den nun schon zweiten Krieg im heutigen Europa nach dem Ende des 2. Weltkrieges.

Das sind nur die Hintergründe, die Musik ist eine andere, dies geht nicht in Worte. Bei allen Überlegungen, war es auch die Lust gewesen, für die Trompete besondere Farben in den Ensembleklang zu weben.

Und der Brummkreisel im Stück ist eine direkte Hommage an Georg Katzer, in seinem Werk Szene für Kammerensemble von 1970 benutzt er einen Brummkreisel spielerisch, am Ende im szenischen Geschehen der Kammermusik. Bei mir ist er auch szenisch, das ist ein Brummkreisel immer, aber sein Dur-Klang soll sich auch mischen mit den Strukturen des Ensembles. (Es ist übrigens sehr schwer, heute einen gutklingenden Brummkreisel zu erwerben.)“ (Helmut Zapf)