Kunstquartier Bethanien, Studio 1
Samstag 9.11., 19.00 Uhr – Videodokumentation
in:determination
Duo Interconnections

Programm
- Vito Palumbo
Pulse IIIbUA(2024)
für Harfe und Schlagzeug - Interview
Richard Putz im Gespräch mit Leonie Reineke - Mathias Spahlinger
doppelt und dreifach determiniert (asamisimasa-zyklus 05)(2017)
für Schlagzeug Solo (5 Tomtoms) - Interview
Clara Simarro, Richard Putz und Sagardía im Gespräch mit Leonie Reineke - Sagardía
Vom Mut bewölkter Tage(2023)
für Harfe und Schlagzeug - Aureliano Cattaneo
ClarpaUA(2022)
für Harfe Solo - Jeffrey Holmes
Reið (Raidō) :ᚱ:UA(2024)
für Harfe und Schlagzeug - Interview
Jeffrey Holmes im Gespräch mit Leonie Reineke
Duo Interconnections
Clara Simarro – Harfe | Richard Putz – Multipercussion
Das 2022 gegründete Duo Interconnections (Clara Simarro, Harfe, und Richard Putz, Multipercussion) präsentiert bei seinem Debüt bei der Klangwerkstatt Berlin aktuelle, meist für sie geschriebene Werke von Vito Palumbo (UA), Mathias Spahlinger, Sagardía, Aureliano Cattaneo (UA) und Jeffrey Holmes (UA).
An diesem Abend werden Raum und Zeit in der Musik auf unterschiedliche Weise akustisch entfaltet: In der Komposition von Vito Palumbo formen Klangpartikel als klingende Bausteine den Raum. Bei Mathias Spahlinger erzeugen rhythmische Muster durch Überlagerung komplexe Zeitstrukturen. Aureliano Cattaneo spielt mit den Dimensionen und spezifischen Resonanzspektren der Harfe, während Jeffrey Holmes durch Vergrößerung und Verkleinerung rhythmischer Strukturen eine Bewegung im Raum evoziert. Und Sagardía stellt gängige Hörerwartungen auf den Kopf, indem er Raum durch ein Spannungsfeld von radikal sich steigernder Stille und extremen dynamischen Sequenzen definiert. Allen Stücken des Programms ist gemeinsam, dass immer die Wahrnehmung im Mittelpunkt steht, das genaue Hinhören und Entdecken des Unerwarteten.
Vito Palumbo: Pulse IIIb (2024)
Pulse IIIb ist Teil einer Reihe von Stücken, die für verschiedene Kammermusikbesetzungen geschrieben wurden, von Pulse I für Soloklarinette über Pulse II für Flöte und Klavier bis hin zu Pulse III für Harfe und Schlagzeug. Das Stück entwickelt ein Konzept des Pulsierens, das sich im Laufe der Zeit in einer Art von Klangknotenpunkten allmählich verdichtet. Der Dialog zwischen den beiden Instrumenten ist sehr dicht und zeichnet Berührungspunkte in dem Raum, in dem die beiden Instrumente aufeinandertreffen.
Die rhythmische Pulsation, die zwischen den beiden Instrumenten ausgetauscht wird, variiert in den Kombinationen der Rhythmen und Klangfarben, wie um einen fast verrückten, wild rasenden Tanz hervorzurufen, der bis zum Ende des Stückes immer mehr an Kraft gewinnt. Im letzten Teil überwiegt der perkussive Charakter und kontaminiert die Harfe mit Rhythmen fast ritueller Natur in perkussiven Gesten auf den Saiten und dem Holzkorpus.
Vito Palumbo
mathias spahlinger: doppelt und dreifach determiniert (asamisimasa-zyklus 05) (2017)
für unsere taditionellen vorstellungen von musikalischem zusammenhang ist wohl die zeitordnung die bestimmendste gewesen: die abfolge der klangereignisse, das vorher und nachher (von melos bis form und dramaturgie) und das zugleich, also das zeitmaß für takt, metrum und rhythmus, das für musiker und hörer verbindliche tempo, das synchronität von aufführung wie wahrnehmung für musiker und hörer reguliert.
mit der „geschichtlichen tat“ der erfindung von atonalität sind alle voraussetzungen des systems musik in frage gestellt; gleich, ähnlich und verschieden ebenso, wie vorher/nachher beziehungsweise synchron.
drei anschläge definieren ein tempo. nicht nur, wenn sie als puls, in gleichen abständen oder dauern aufeinanderfolgen. auch anschläge mit einfachem rhythmus oder dauern z. b. im verhältnis 3:1:2 (der punktierte rhythmus) definieren zugleich takt, metrum, rhythmus.
wird ein solcher rhythmus (z. b. in drei stimmen) gleichzeitig in drei unterschiedlichen tempi oft wiederholt, und laufen diese drei tempi nicht lediglich nebeneinander her, sondern sind so aufeinander bezogen, dass immer wieder bis zu drei anschläge aus den unterschiedlichen tempoebenen zusammentreffen müssen, eben auch solche, die in ihrem jeweiligen tempo die dauern 1, 2 oder 3 besitzen, sodass sie aber nicht bloß quantitativ verschieden sondern wesentlich verschieden sind, denn sie sind im rhythmus 3+1+2 in ihrer stellung im metrum bestimmt, so kann man (mit hegel) sagen: „die denkende vernunft spitzt den abgestumpften unterschied des verschiedenen, die bloße mannigfaltigkeit der vorstellung, zum wesentlichen unterschiede, zum gegensatze zu.“
mathias spahlinger
Sagardía: Vom Mut bewölkter Tage (2023)
Vom Mut bewölkter Tage gehört zu einer Reihe von Stücken, die sich mit der Beziehung zwischen Sucht und Musik befasst. Das Stück wurde 2023 im Rahmen eines Lectureconcert mit dem Titel „Die Biologie des Verlangens“ (gehalten in der Galerie Nemtsov&Nemtsov) vom Duo Interconnections uraufgeführt. Ausgehend von der persönlichen Erfahrung der Drogenabhängigkeit und ihrer Überwindung mit Hilfe einer Entwöhnungstherapie im Jahr 2020, rückt die neurobiologische, psychologische und drogenpolitische Bestimmung des Abhängigkeitsbegriffs seitdem in den Vordergrund meines Komponierens.
Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2011 an der Universität von Toronto aktiviert Musik dieselben Regionen innerhalb des zerebralen Belohnungsystems, die auch von psychoaktiven Substanzen oder psychoaktiven Verhaltensweisen (social media, Autoraserei, Glückspiel u. a.) angesteuert werden, um Rauschzustände und Glücksempfindungen herzustellen. Das verschiebt den Diskurs über Sucht und Musik als zwei Strategien des Überlebens auf drastische Weise. Das zerebrale Belohnungssystem zwischen Erwartung und Befriedigung bewusst durch ein spezifische Zeitstruktur, nämlich rhythmischer ritardando-Modelle, die allesamt ausgeschrieben sind, anzusteuern: das ist das Ziel von Vom Mut bewölkter Tage. Die hörphänomenologischen Einschlagwirkungen dieser ritardando- und crescendo-Modelle bestimmen den Verlauf dieses Stückes. Die Musik bleibt so nicht einfach in einem Modell der Repräsentation stehen, sondern sie wird zum direkten Zeugnis eines Willens zu überleben.
Sagardía
Aureliano Cattaneo: Clarpa (2022)
Clarpa wurde für Clara Simarro geschrieben, der Titel setzt sich demnach aus dem Namen Clara und Arpa (Harfe auf Italienisch) zusammen.
Das Stück geht von zwei einfachen Grundgedanken aus: Resonanz, die typisch für die Idiomatik des Instrumentes ist, und Bewegung, die in unterschiedlichen Aspekten auftritt. Bewegung innerhalb eines statischen Elementes, wie zum Beispiel die sehr tiefen, gedämpften Cluster, oder in einem dynamischen Element, wie die chaotischen Glissandi, die durch das gesamte Register des Instrumentes laufen.
Die Stimmung der Harfe ist durch das Verstimmen einiger Saiten verändert, basierend auf Obertönen der Grundtöne E, F und G. Durch diese Skordatur werden die Resonanzen instabiler, lebendiger und verbinden so die Elemente Resonanz und Bewegung.
Jede Geste entsteht aus einer anderen und führt wiederum in eine neue Geste und gibt somit dem aus kontrastierenden Episoden bestehenden Stück eine organische Form.
Aureliano Cattaneo
Jeffrey Holmes: Reið (Raidō) :ᚱ: (2024)
Reið (Raidō) ist das sechste in einem Zyklus von Kammermusikstücken, die ich in den letzten Jahren komponiert habe, wobei jedes Werk mit einem bestimmten alten Runensymbol verbunden ist. „Reið (Raidō)“ bedeutet direkt übersetzt „Ritt“ oder „Reise“. Ein Ritt zu Pferd wird impliziert, kann aber auch als eine Erfahrung interpretiert werden, die das Diesseits mit dem Jenseits oder das Diesseits mit anderen Bereichen der Existenz oder des Bewusstseins verbindet. Die repetitive und perkussive Natur eines galoppierenden Pferdes wird oft mit schamanischem Trommeln assoziiert, das bestimmte urtümliche esoterische Praktiken begleitet … und wird durch die sich wiederholenden, konstant gezupften Artikulationen der Harfe und das Schlagen der verschiedenen Felltrommeln hervorgerufen, während die breite Palette mikrotonaler metallischer Schlagzeugklänge die Stimmung und Atmosphäre dieser transzendentalen Erfahrung erzeugt. In dieser dramatischen Darstellung eines sowohl antiken als auch futuristischen Rituals werden diese verschiedenen Stimmungen und Klangfarben durch eine sorgfältig kontrollierte harmonische, motivische und formale persönliche Sprache verwendet, die Struktur und Architektur mit Intensität und Ausdruck vereint.
Jeffrey Holmes