Kunstquartier Bethanien, Studio 1

Donnerstag 14.11., 20.00 Uhr – Videodokumentation

Clarinet Captures

ensemble mosaik

Auf dem Bild spielt Christian Vogel die Klarinette.
© Kai Bienert

Programm

  • Haukur Þór Harðarson
    UmbraUA(2024)
    für Bassklarinette und Ensemble (Fl, Ob, Schlgz, Klav, Vl, Va, Vc)
  • Hovik Sardaryan
    AgniUA(2024)
    für Klarinette, Ensemble (Fl, Ob, Sx, Schlzg, Klav, Vl, Va, Vc) und Live-Elektronik
  • Interview
    Michael Zwenzner im Gespräch mit Leonie Reineke
  • Luca Staffiere
    Barbablu MinusUA(2024)
    für Klarinette, Ensemble (Fl, Ob, AltSx, Vl, Va, Vc) und Videoprojektion
  • Hanan Hadžajlić
    DISTORTED SYMMETRIES (I, II, III)UA(2024)
    für Klarinette in B/Bassklarinette/Klarinette in Es, Ensemble (Picc/Fl, Ob, Bar/TenSx, Klav, Schlzg, Vl, Va, Vc) und Live-Elektronik

ensemble mosaik

Kristjana Helgadottir – Flöte | Simon Strasser – Oboe | Sebastian Lange – Saxophon | Roland Neffe – Schlagzeug | Ernst Surberg – Klavier/Keyboard | Sarah Saviet & Chatschatur Kanajan – Violine | Karen Lorenz – Viola | Mathis Mayr – Cello | Arne Vierck – Klangregie

Christian Vogel – Klarinette Solo

Leitung: Christoph Breidler
Moderation und Gespräche: Leonie Reineke



Vier spannende junge Komponist:innen, ein Ensemble, ein Soloinstrument im Fokus. Das ensemble mosaik hat Kompositionsaufträge für Klarinette und Ensemble vergeben an Hanan Hadžajlić (UA) aus Bosnien-Herzegowina, Haukur Þór Harðarson (UA) aus Island, Hovik Sardaryan (UA) aus Armenien und Luca Staffiere (UA) aus Italien. Sie alle erkunden aktuelle Klangspielräume der Klarinette im Zusammenspiel mit Ensemblebesetzung und Elektronik.



Haukur Þór Harðarson: Umbra (2024)
Eine zerbrechliche Topographie von Klängen, die aus dem Material des Solisten hervorgehen, sich miteinander verweben und wieder trennen. Verschiedene Momentaufnahmen, die verschiedene Facetten der Bassklarinette zeigen, die manchmal überhandnehmen und dann wieder verschwinden.

Mein Dank geht an Christian Vogel für die wunderbare gemeinsame Arbeit an diesem Stück.
Haukur Þór Harðarson

Hovik Sardaryan: Agni (2024)
Agni – Gott des Feuers in der vedischen Religion

Das Sanskrit-Wort „Agni“ ist in verschiedenen Sprachen präsent, zum Beispiel im Lateinischen als „Ignis“ oder im Russischen als „огонь“, und bedeutet jeweils Feuer. In den Rigveda-Schriften gibt es zwei Götter, die auf den ersten Blick unterschiedliche Bereiche repräsentieren, jedoch in ihrer Essenz ähnlich sind, da beide die Lebenskraft verkörpern: Soma und Agni. Soma steht für den Lebenssaft, die Lebensenergie in allem Lebendigen, Agni für das Lebensfeuer. Alles, was lebt, enthält dieses Feuer. Es ist ein inneres Licht, das sowohl leuchtet als auch fließt.

Der französische Philosoph Gaston Bachelard vergleicht in seinem Buch Die Flamme einer Kerze die Flamme mit einem Bach – eine flüssige Flamme, die nach oben fließt und zum Himmel strebt. Es geht um die Vertikalität der Flamme, um ihre Dualität zwischen Stärke und Fragilität. Die Flamme ist eine Erscheinung, die keine festen Maße hat, aber dennoch beständig ist. Sie ist das dramatisch-dynamische Werden und Sein zugleich – die Flamme ist das Wesen selbst und das Streben nach totaler Reinheit, das Auflösen im Licht. Sie besitzt auch eine erotische Komponente, die sich in den Flammenzungen zeigt.

All diese imaginären Bilder als Phänomenologie der Flamme wollte ich musikalisch erfahrbar machen.

Das Werk besteht aus drei Sätzen. Der erste und der dritte Satz basieren auf dem gleichen musikalischen Material, sind jedoch völlig unterschiedlich strukturiert. Der erste Satz ist chaotisch, wie eine Schöpfungsgeschichte, in der die Elemente scheinbar durcheinanderwirbeln. Der dritte Satz hingegen ordnet dieselben Elemente streng und strukturiert sie in klar definierten Formabschnitten. In beiden Sätzen bewegen sich die Elemente in unterschiedlichen Tempi. Es gibt fünf Elemente und fünf verschiedene Tempi.

Der zweite Satz ist wie ein Monolith aus vielen Strömen: Acht Linien, die quasi eigenständig komponiert sind, klingen von Anfang an verschmolzen und bilden gemeinsam einen großen Monolithen. Die übergeordnete Form des Satzes gleicht einem Bogen – eine Beschleunigung und Verlangsamung, wie Ein- und Ausatmen. Auch im Kleinen folgt das Werk diesem Prinzip: Jede Linie crescendiert von niente und diminuendo wieder zu niente, oder umgekehrt, und durchläuft verschiedene Kombinationen von Dynamikwechseln. Eines bleibt konstant: Keine Linie verharrt in einer gleichbleibenden Dynamik. Die Klarinettenstimme in diesem Satz – und im gesamten Werk – ist eher als innere Stimme gedacht. Sie ist das einzige Instrument, das sich stets zwischen den Stimmen, Ebenen und Schichten bewegt und dadurch eine neue, spontane Linie schafft. Diese Linie verknüpft das vielschichtige Stück und bringt, trotz der kaleidoskopischen Schichten und Linien, eine Perspektive ein, durch die man alles wahrnehmen und zusammenführen kann.

Elektronik ist ein wichtiger Bestandteil des Ensembles. Alle elektronischen Klänge werden vom Sampler/Pianisten gespielt. Einerseits klingen mikrotonale Klavierklänge, die über Lautsprecher unter einem Flügel erklingen und ein hybrides Klavier erzeugen. Andererseits erklingen drei Kupferstreifen, die hinter dem Ensemble positioniert sind, durch Transducer (Lautsprecher ohne Membran). So entsteht der Klang einer metallischen Orgel, die mit dem Ensemble interagiert und den Gesamtklang stark beeinflusst.

Polyphonie und Mikrotonalität spielen eine zentrale Rolle in diesem Werk. Es gibt neun Linien, die in neun Akkorde integriert sind und dreimal transponiert werden. Diese Konstruktion im Zusammenspiel schafft eine komplexe Struktur aus Elementen, die ständig im Wechsel sind. Sie brennen innerlich, mit einer Glut, die das Stück antreibt und über die Grenzen hinaus nach einer Transzendenz strebt.
Hovik Sardaryan

Luca Staffiere: Barbablu Minus (2024)
Diese Komposition nimmt eine Spektralanalyse von Bassklarinetten-Multiphonics und Slap-Tones als Inspiration, um kleine Miniaturen zu schaffen, von denen jede eine eigene Welt darstellt. Die Miniaturen oder Szenen sind über das Stück verstreut wie verschiedene Räume an einem geheimnisvollen Ort, und das Öffnen einer Tür zwischen einem Raum und dem nächsten kann zu einem völlig anderen Mikrokosmos führen. Der Kompositionsprozess erinnerte mich an die Freude und Aufregung der Figur in dem französischen Volksmärchen Barbe bleue, die in den unzähligen Räumen des Schlosses neue Schätze entdeckt. Aber die Analogie hört hier auf, falls Sie sich wundern sollten: Anders als in Blaubarts Palast gibt es in diesem Stück keine verbotenen Bereiche, und Sie können es in seiner Gänze erkunden!

Die für die Spektralanalyse verwendeten Klänge wurden während einer Session mit Christian Vogel aufgenommen, der mir einige seiner Lieblings-Multiphonics auf seiner deutschen Bassklarinette vorspielte.
Luca Staffiere

Hanan Hadžajlić: DISTORTED SYMMETRIES (I, II, III) (2024)
Distorted Symmetries ist eine dreiteilige Fusion von extremen Metal-, Trap-, Drill- und EDM-Vibes, die sich mit einer komplexen Herangehensweise an die Ästhetik zeitgenössischer Musik kreuzen und in einer lebendigen, clubähnlichen Umgebung koexistieren. Die intensive Energie dieser komplexen, transformativen Genre-Fusion, die durch laute, tiefe Bass-Texturen und herausfordernde mechanische Pulsationen unterstrichen wird, die eine akribische Präzision bei der Aufführung erfordern, bietet eine authentische Erfahrung der „Zeitgenossenschaft“ in ihrem permanenten und turbulenten Prozess der Transformation.
Aida Adžović