Kunstquartier Bethanien, Studio 1

Samstag 5.11., 20.00 Uhr

On Screen – die lange Filmnacht

Musikfilm – Filmmusik – Musik und Film – Film als Musik

© André Fischer
© André Fischer

Programm

  • Alfredo Ardia & Sandro L’Abbate
    Studio N. 1(2013)
    ca. 2‘Alfredo Ardia – Sound | Sandro L’Abbate – Video | Alfredo Ardia – Subject
  • Hyper Duo & Emmanuel Vion-Dury
    Cadavre Exquis(2021/22)
    experimental music video, ca. 16‘Gilles Grimaitre & Julien Mégroz – Komposition, Performance | Emmanuel Vion-Dury – Regie
  • Ui-Kyung Lee
    A U F T A K T E(2020)
    Video | Teil des Projektes IF THE ROOT BE IN CONFUSION NOTHING WILL BE WELL GOVERNED, ca. 2‘Christof M Löser – Performance
  • Neo Hülcker & Karsten Wiesel & Ensemble L'ART POUR L'ART
    Notturno mit Gewächshaus und abwesendem Ensemble(2022)
    Ein MusikFilmTheater | Teil des Projektes THREE REALITIES, ca. 12‘Neo Hülcker – Komposition | Karsten Wiesel – Bildgestaltung & Montage | Stefan Troschka – Klangregie | Daniel Kulle – Kameraassistenz | Astrid Schmeling – Produktion | Ensemble L‘ART POUR L‘ART: Astrid Schmeling – Flöte & Percussion, Nele B. Nelle – Klarinette & Percussion, Ulf Mummert – Gitarre & Percussion, Hartmut Leistritz – Klavier & Percussion
  • Anja Plonka
    breathing psoas(2021)
    Performance-Film, ca. 15‘Anja Plonka – Konzept, Regie, Performance, 2. Kamera, Schnitt | Anna Ziegler – Kamera | Rasmus Nordholt-Frieling – Sound Design | Marko Stefanovic – Ton und dramaturgische Begleitung | Anais Rödel – dramaturgische Begleitung | Markus Jendrosch – Assistenz
  • Ensemble This I Ensemble That
    Hannes Seidl – Mixtape (OFFICIAL MUSIC VIDEO)(2020)
    Video zu dem Stück MIXTAPE (2013) for 4 no-input mixers, ca. 12‘Ensemble This I Ensemble That – Concept & Production | Hannes Seidl – Composition
  • Roberto Fausti
    Berceuse(2019)
    Film, ca. 35‘



Ein langer Filmabend präsentiert sieben Arbeiten aus 112 Einreichungen zum ersten Klangwerkstatt-Berlin-Open-Call Neue Musik – Film – Video Art auf großer Leinwand.

Die Klangwerkstatt Berlin hat diesen Open Call im Frühjahr 2022 international und ohne Altersbeschränkung ausgeschrieben. Durch die vielen Verbote öffentlicher Veranstaltungen in den letzten zwei Jahren wurden Konzerte nicht nur via Live-Stream und Studioproduktionen verbreitet. Die künstlerische Arbeit verlagerte sich ganz generell noch stärker ins Digitale. Viele Komponist:innen und Instrumentalist:innen, Klangkünstler:innen und Filmschaffende haben eigenständige Formen geschaffen, die sich mit den Medien Film und Musik und ihrem spezifischen Verhältnis zueinander auseinandersetzen. Das Festival hat diese Entwicklung mit einem Open Call für audiovisuelle Arbeiten an der Schnittstelle von elektroakustischer/elektronischer Musik, Kurzfilm und Video Art aufgegriffen.

Vor dem Filmabend ist im Studio 1 ab 19.30 Uhr die Installation Ursuppe von Sophia Schönborn, Justin Robinson und Simon Stimberg zu sehen und zu hören.


Foto aus Alfredo Ardia & Sandro L’Abbate Studio N. 1

Studio N. 1

Ein Individuum – desorientiert, in einen neuen Wahrnehmungsraum geworfen – fängt an, mit diesem zu interagieren, ihn mit Präzision zu analysieren und sich darüber Notizen zu machen. Aber wie ein Computerprogramm ist dieser Raum ein System, in dem Defekte, Fehler, Störungen und jegliche Art von Interferenz zu einem fragmentierten Verlauf der Erzählung selbst führen.

Die Komposition, die in Zusammenarbeit mit Sandro L'Abbate entstanden ist, soll eine Beziehung zwischen dem, was wir sehen und dem, was wir hören, herstellen. Es ist eine Studie über die Verbindung dieser Prozesse. Das Tonmaterial (Sinuswellen und Glitches), scheinbar einfach und minimalistisch, hat durch das Phänomen der Schwebungen komplexe interne Interaktionen und korrespondiert darin mit der Dynamik des Bildes.
Alfredo Ardia



Foto aus Hyper Duo & Emmanuel Vion-Dury Cadavre Exquis

Cadavre Exquis

Cadavre Exquis ist ein experimentelles Musikvideo für die Schweizer Band Hyper Duo. Dieses Stück wurde nach dem Prinzip des surrealistischen Spiels Cadavre Exquis komponiert, das darin besteht, ein kollektives Stück zu schaffen, indem man nacheinander arbeitet und nur einen kleinen Teil dessen sieht, was die letzte Person, die an dem Stück gearbeitet hat, geschaffen hat.

Auf diese Weise komponierte Hyper Duo dieses sehr lange Stück. Jeder von beiden arbeitete sechs Mal, was zu einem zwölfteiligen Musikstück führte. Der Film versucht dieses Ergebnis durch seine visuelle Sprache zu verstärken. Es entstand ein 16minütiger Film aus zwölf verschiedenen Teilen, der eine Art surrealistische Reise mit vielen Überraschungen und Erlebnissen darstellt. Voller surrealistischer Elemente, Humor und satirischer Elemente über die Musikwelt ist er ein Strudel von Universen und Ideen.
Emmanuel Vion-Dury



Foto aus Ui-Kyung Lee AUFTAKTE

A U F T A K T E

Drei Aspekte zur Komposition des Stücks:
1. Historisch. Die Geschichte des Dirigierens und des Dirigenten in der abendländischen Musik entwickelt sich zeitlich parallel mit dem Kolonialismus, dem Kapitalismus und der Industrialisierung. Gemeinsam ist allen dreien, dass alles Naturhafte, wie Mensch, Land, Zeit, Naturphänomene, quantitativ vermessen wird.
Unter diesem Aspekt sehe ich in meinem Stück den Dirigenten auch als Teil dieser Geschichte. In anderen Kulturen als der europäischen Musik kommen Dirigenten quasi nicht vor. Dass ein Dirigent mit bestimmten Schlagfiguren Zeit unterteilt und dass dies als ein westliches Erbe zu sehen ist, sind die Ausgangspunkte meines Stücks.
2. Musikalisch. Die Schlagfiguren sind aber natürlich nicht nur eine rein physikalische, körperliche Haltung. Sie sind Gesten, die möglichst viele musikalische Inhalte darbieten. Wenn ein Dirigent einen Satz einer Symphonie im 4/4-Takt dirigiert, kann man unglaublich viele körperliche Varianten der sich grundsätzlich wiederholenden 4/4-Schlagfigur sehen, weshalb jeder Taktanfang, jede „Eins“ als Singuläre neu entsteht.
Im Konzert eines Orchesters hören wir einer Musik zu, immer diesen maschinellen und gleichzeitig musikalisierten Körper vor Augen, und folgen der Musik gerne mit ihm. Ein Dirigent im Konzert ist eine dialektische Einheit, die in Zeit und Raum auf uns musikalisch wirkt.
3. Gegenwärtig und politisch. In der postmodernen Zeit wurde der Dirigent oft kritisiert als ein musikalischer Diktator. Die Kritik war legitim, aber er ist immer noch da. Wir fragen wieder einmal grundsätzlich nach Regeln, Wahrheit, Verantwortung, Ordnung usw. Diese sind nicht positiv konnotiert, aber sie sind immer da, wie ein innerliches Phantom.

Der Titel If the Root be in Confusion Nothing will be Well Governed ist ein Zitat aus Great Learning Nr. 2 von Cornelius Cardew. Das Stück besteht aus drei unterschiedlichen Videowerken. Das erste ist als Installation produziert, die anderen beiden, darunter Auftakte, sind für Vorführungen.
Ui-Kyung Lee



Foto aus Neo Hülcker & Karsten Wiesel & Ensemble L‘ART POUR L‘ART Notturno mit Gewächshaus und abwesendem Ensemble

Notturno mit Gewächshaus und abwesendem Ensemble

Die Situation: In einem Gewächshaus bei Nacht, Licht und Fokus auf Details gerichtet, langsame Kamerafahrt, im Gewächshaus findet alle 15 Minuten eine Berieselung mit Wasserdampf statt, überall tropft es, hin und wieder setzt sich ein Springbrunnen in Bewegung, es plätschert. Kein Narrativ. Der Raumklang wurde separat als musikalisches Material aufgenommen, zuvor die Instrumentalmusiken als Bausteine im Alten Forsthaus Habichtshorst gefilmt. Der Film ist eine Begegnung und Verflechtung von Natur und Kultur, eine Rahmung von Natürlichkeit und Künstlichkeit.
Das macht sich an vier Dimensionen fest:
a) Lebendige, gut gepflegte Pflanzen.
b) Die Hände der Musiker:innen und die Musikinstrumente. Die Objekt-Instrumente erinnern an ihre Geschichte, als sie selbst einmal Gebrauchsgegenstände für den Umgang mit Natur waren, bevor sie zu Musikinstrumenten wurden. Die Konzertinstrumente haben ihre natürlichen Einschwingvorgänge und wirken doch durch ihre lange Kulturgeschichte seltsam fremd in dieser Umgebung.
c) Ein Gewächshaus beherbergt Natur und ist als Erfindung bereits eine Kulturleistung, zumal es sich hier um die Künstlichkeit von Topfpflanzen handelt. Auch ein Springbrunnen ist eine poetische Maschine, deren Fontäne und Wasserfall jedoch Naturkräften folgen.
d) Die Verzahnung von Film und Musik bzw. Musizieren findet im ersten Schritt durch Implantierung von Instrumenten und spielenden Händen in die Pflanzen statt. Auf der Wahrnehmungsebene erscheinen im Pflanzendschungel plötzlich Gestalten, Irrlichter; Hände und Instrumente mögen zu Tieren werden, zu Gebilden, die an einen Traum erinnern. Auf der strukturellen Ebene sind die Korrespondenzen so subtil, dass sie kaum beschreibbar sind. Das ganze Werk gleicht einer vielstimmigen Partitur, in der die Bilder ebenso ihre Stimmen einnehmen wie die Musik: Kontrapunkte, Fortspinnungen, Parallelitäten, Polyrhythmik im Bild sowie im Klang. Die Bewegungseigenschaften und der Klang von Wasser spielen eine bedeutsame Rolle.
Astrid Schmeling



Foto aus Anja Plonka breathing psoas

breathing psoas

Der Film breathing psoas entwirft einen spekulativ-utopischen Körper und ein Mitsein von Mensch und Natur. Der Atem und field recordings eröffnen fragmentarische Atmosphären des Schmerzes und der Verwandlung. Der Körper als Archiv von traumatischen Einspeicherungen, übt sich mit Hilfe von somatischen Praxen wie der Trauma Release Technik und verschiedenen Ansätzen aus der Atemarbeit, in der Verwandlung der damit verbundene Körperphänomene wie Schmerz, Spannung, Hitze, Angst, Ekel oder Wut. Die Trauma-Release-Technik verbindet sich visuell mit den Mythen der Baubo. Diese Figur aus der griechischen Mythologie zeigt ihre Vulva, um den traumatisierten Frauen Trost und Heilung zu spenden. Auf der Suche nach einer anderen Existenz atmet sich der Körper durch die Vulva und die Landschaft in Fragen der Zukunft der Koexistenz.

Wie kann der Körper mit der Natur in Beziehung treten? Wie können sie sich gemeinsam verwandeln? Wie können sie zusammen sein? Der Atem eröffnet ein performatives Spiel der Transformation: Stein zu Haut, Atem zu Wind, Stimme zu Vulva, Rauch zu Blut, Wasser zu Wind. Die magisch-poetische Verwandlung der Akteure lässt die Natur als somatischen Körper und Psychogramm auftreten. Der Film will Sichtbarkeit für ein Tabuthema schaffen und ist eine Ode an alle traumatisierten Körper.
Anja Plonka



Foto aus Ensemble This Ensemble That Hannes Seidl Mixtape Official Music Video

Hannes Seidl – Mixtape (OFFICIAL MUSIC VIDEO)

Ist die ganze Welt süchtig nach Bananen?

Es begann als Scherz unter Freunden, aber die Wahrheit ist da draußen, je genauer man hinschaut. Profisportler, Berühmtheiten, Politiker, religiöse Führer, Könige … die Liste geht weiter. Nichts ist mehr echt. Wenn man die Art und Weise ändert, wie man die Dinge betrachtet, ändern sich auch die Dinge, die man betrachtet.

Die Tonträgerindustrie hat sich verändert, und wer sich nicht anpasst, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Mixtape ist eine Musikvideo-Dokumentation über das Leben eines renommierten Plattenproduzenten in einer sich ständig verändernden Musiklandschaft.
Ensemble This I Ensemble That



Foto aus Roberto Fausti Berceuse

Berceuse

Ein Film aus dem Gewebe der Träume: das heißt, das, was sich in den Netzen des Unbewussten festsetzt, Bilder, die man aus dem Augenwinkel sieht, Geräusche, die man geistesabwesend hört, Gedanken, die kaum skizziert und schnell wieder abgebrochen werden. Die Bilder in diesem Film stammen alle aus Videos auf YouTube, einem gigantischen Basar, auf dem eine Fülle von Amateurberichten über die unbedeutendsten, trivialsten und abwegigsten Momente des Alltags zu finden sind. Die Musik, die sie begleitet, ist weder ein Kommentar noch ein Soundtrack. Im Gegenteil, sie ist es, die, der Bewegung der Bilder folgend, eine unmöglich zu erzählende Geschichte webt – wie in den komplexesten Träumen – und parallele Assoziationen und Dissoziationen vermischt, um uns zu erschütternden Epiphanien zu bringen.
Roberto Fausti