Kunstquartier Bethanien, Studio 1

Sonntag 10.11., 20.00 Uhr – Videodokumentation

Sopra di noi

Ensemble Reflexion K

Bild vom Ensemble Reflexion K beim Provinzlärm Festival
© Michael Jordan

Programm

  • Elnaz Seyedi
    Questo che a notte balugina(2023)
    für Ensemble
  • Liisa Hirsch
    Autarkes(2020)
    für 10 Musiker:innen
  • Interview
    Gerald Eckert im Gespräch mit Leonie Reineke
  • Stefan Streich
    Trichter, Klee und Amsel(2024)
    für 21 Instrumente
  • Gerald Eckert
    Sopra di noi … (niente)(2014)
    für Orchester

Ensemble Reflexion K

Beatrix Wagner – Flöte | Joachim Striepens – Klarinette & Kontrabassklarinette | Matthias Badczong – Kontrabassklarinette | Ari Schuirmann – Fagott & Kontrafagott | Delphine Gauthier-Guiche – Horn | Norbert Fabritius – Trompete | Matthias Jann & Karsten Süßmilch – Posaune | André Wittmann & Arian Robinson – Schlagzeug | Lara Meyer-Struthoff – Harfe | Christine Paté – Akkordeon | Daria-Karmina Iossifova-Molier – Klavier | Rui C. Antunes – Violine | Christiane Veltman & Nikolaus Schlierf – Viola | Christine Meißner, Anne Gayed, Ulrike Brand, Clara Franz & Katrin Maschmann – Violoncello | Heiko Maschmann – Kontrabass

Leitung: Gerald Eckert
Moderation und Gespräche: Leonie Reineke


Das herausragende Eckernförder Solistenensemble Reflexion K, das 2023 in Duobesetzung zu Gast war, kommt in Orchestergröße zur Klangwerkstatt Berlin. Es präsentiert Klanguniversen in großer Besetzung: mikrotonale Bewegungen und Verwirbelungen auf der irisierenden Klangoberfläche in Liisa Hirschs Autarkes (2020), Klänge von großer Tiefenschärfe und Kraft in Elnaz Seyedis Questo che a notte balugina (2023) und ein überbordender Klangfarbenreichtum mit sich stetig verändernden Klangzuständen in Gerald Eckerts Sopra di noi… (niente) (2014). Dazu Trichter, Klee und Amsel, ein neues Werk von Stefan Streich, das Eckerts spezifische Großbesetzung aufgreift und sie in nochmals ganz andere Klangräume führt.

Außergewöhnlich ist die Besetzung der beiden letzten Stücke: mit 21 Instrumentalist:innen so groß wie ein Kammerorchester – allerdings in allen Stimmen, auch in den mehrfach besetzten Streichern, fast durchweg solistisch geführt – zeichnet sie sich durch extreme Klangfarben aus. Die allertiefsten Instrumente sind überproportional vertreten, oft doppelt oder mehrfach besetzt: zwei Kontrabassklarinetten, ein Kontrafagott, zwei Bass- oder Kontrabassposaunen, ein Kontrabass. Und den fünf Celli stehen nur zwei Bratschen und eine Violine gegenüber. Dazu kommt ein großes Schlagwerk mit gleich zwei tiefen Tamtams, zwei großen Trommeln und tiefen Becken und Gongs. So entstehen tiefe, schillernde Klangräume, die genauso körperlich zu spüren wie zu hören sind.



Elnaz Seyedi: Questo che a notte balugina (2023)
questo che a notte balugina
nella calotta del mio pensiero,
traccia madreperlacea di lumaca
o smeriglio di vetro calpestato,
non è lume di chiesa o d'officina
che alimenti
chierico rosso, o nero.
Solo quest'iride posso
lasciarti a testimonianza
d'una fede che fu combattuta,
d'una speranza che bruciò più lenta
di un duro ceppo nel focolare.
Conservane la cipria nello specchietto
quando spenta ogni lampada
la sardana si farà infernale
e un ombroso Lucifero scenderà su una
prora
del Tamigi, dell'Hudson, della Senna
scuotendo l'ali di bitume semi-
mozze dalla fatica, a dirti: è l'ora.
Non è un'eredità, un portafortuna
che può reggere all'urto dei monsoni
sul fil di ragno della memoria,
ma una storia non dura che nella cenere
e persistenza è solo l'estinzione.
Giusto era il segno: chi l'ha ravvisato
non può fallire nel ritrovarti.
Ognuno riconosce i suoi: l'orgoglio
non era fuga, l'umiltà non era
vile, il tenue bagliore strofinato
laggiù non era quello di un fiammifero.
– Eugenio Montale: Piccolo testament

Liisa Hirsch: Autarkes (2020)
Im Griechischen würde autarkés „autark“ – „selbstgenügsam“ oder „unabhängig“ – bedeuten, unabhängig von äußeren Umständen, doch ein Zitat aus Tarkovskys Film Stalker könnte diese Idee anders erweitern: „Wenn ein Baum wächst, ist er zart und geschmeidig. Aber wenn er trocken und hart ist, stirbt er. Härte und Stärke sind die Begleiter des Todes. Nachgiebigkeit und Schwäche sind Ausdruck der Frische des Seins.“

Diese Musik sucht nach einem Gleichgewicht zwischen Fragilität, Zuhören und zugrunde liegenden Prozessen, die die Umrisse einer architektonischen Form bilden, vielleicht nur Ruinen dessen, was hätte sein können. Beginnend mit einem leichten Blick auf James Tenneys Arbor Vitae, überlagern sich mikrotonale Abstiege der Streicher und des Klaviers und konvergieren zusammen, um alle Instrumente in einer aufsteigenden Form zu verbinden. Es war ein seltsames Übergangswerk vor einer längeren Kompositionspause, eine Art Abschluss in Miniaturform, der einige meiner früheren Strukturen zusammenführte und dessen Ergebnis noch gefährlich fragiler wirkte als ich es mir vorstellte.
Liisa Hirsch

Stefan Streich: Trichter, Klee und Amsel (2024)
Die Verwendung von extrem tiefen Blasinstrumenten und cellolastigen Streichern in Trichter, Klee und Amsel ist ein ganz besonderer „Malgrund“. Gerald Eckert hat genau diese Instrumentation ursprünglich als Klangraum für sein Stück Sopra di noi … (niente) entworfen und damit ein sehr charakteristisches „Instrument“ gebaut. Meine Verwendung dieses Instruments und gerade die doch sehr andere „Melodie“, die ich darauf spiele, möchte ich als hohe Wertschätzung der Arbeit von Gerald Eckert verstanden wissen.

Trichter, Klee und Amsel ist Suchen. Es tauchen dabei so viele Dinge auf, ganz groß und deutlich manche und verschleiert andere. Im grellen Licht und im Nebel nur zu erahnen, nicht gewusst, nur gespürt, vielleicht auch gar nicht da. Die Musik ist voller Figuren. Sie bilden sich, treten in den Vordergrund und verschwinden wieder. Manche werden zum Ornament, sind Melismen in einem großen cantus firmus.

Was ist anwesend, was nur imaginiert? Und doch tritt jedes in einen Dialog mit den anderen, lässt Raum für Reaktion oder reiht sich ein oder folgt schlicht auf ein vorheriges. Selten erscheinen zwei gleichzeitig. Vielleicht ein leises Grelles und ein lautes Nebliges. Figuren, die sich gegenüberstehen, agieren und reagieren. Musikalische Gestalten. Geister. Wir wissen es nicht.
Stefan Streich

Gerald Eckert: Sopra di noi … (niente) (2014)
Echos weit entfernter Ereignisse, möglicherweise kaum deutbare Spuren, bestimmen die Faktur von Sopra di noi … (niente).

Die Funktion der Echos ist denn auch weniger die einer präzisen Ortsbestimmung als eher die einer „Daseinsbeschreibung“, die ihrerseits Ausdruck unterschiedlicher, voneinander unabhängiger Zeitschichten ist.

Die verschiedenartigen, sich stetig verändernden Räume entsprechen den sich verändernden Relationen der Zeitebenen, d. h. die „Räume“ sind Abbilder des Aufeinandertreffens von unterschiedlich verlaufenden Zeitschichten, die so in genau jenen Augenblicken ihre einzigartige Beschaffenheit erhalten.

Die Unvereinbarkeit von Nähe und Distanz bleiben für sich stehende Chiffren; Nähe als Ausdruck des Augenblicks des Seins, die Zeitebenen in ihrer Differenzierung als – poetischer – Ausdruck der Distanz.

Io venni in loco d’ ogni luce muto,
Ich kam zum Ort, wo alle Lichter schwiegen,
– Dante, Die Göttliche Komödie, Die Hölle, V. Gesang
Gerald Eckert