Einblicke in 30 Jahre Klangwerkstatt Berlin
Musikalische Partizipation
Abenteuer Musik
Die Kinder- und Jugendensembles multiphon, Progress & andere
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Seit Dezember 1993 unterrichtet Sylvia Hinz an der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg. Sie ist Blockflötistin, Ensembleleiterin und Dirigentin, spezialisiert auf zeitgenössische Musik und Improvisation. Sie gehört – wie Peter Ablinger, Helmut Zapf, Jürgen Kupke, Gerhard Scherer u. v. a. m. – zu den hochspezialisierten Musikschullehrer*innen der Musikschule, die im Laufe der Jahre die Klangwerkstatt Berlin mit den unterschiedlichsten partizipativen Programmen mitgeprägt haben. Auf ihre ganz besondere Weise sind die Programme von Sylvia Hinz exemplarisch für die vielfältige Arbeiten, die aus der Musikschule heraus für die Klangwerkstatt Berlin entstehen.
Sylvia Hinz
Kinder- und Jugendensembles an der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg
Im Laufe der Jahre gründet Sylvia Hinz verschiedene Ensembles an der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg, die – wenn auch in variierenden Besetzungen – regelmäßig Konzerte bei der Klangwerkstatt Berlin bestreiten. Darüber hinaus öffnet Sylvia Hinz ihre Projekte auch immer wieder den umliegenden Kreuzberger Grundschulen, die sich zusammen mit den Musikschulensembles auf musikalische Entdeckungsreisen begeben. Auch Zusammenarbeiten mit anderen Ensembles wie beispielsweise der jugendlichen Schlagzeugformation Beatlab aus NRW unter der Leitung von Jens Brülls oder dem Ensemble Zwischentöne, sind Teil der Programme.
Das Ensemble Block-X (auch: Blockex) ist das erste namentliche genannte Ensemble, ein reines Blockflötenensemble, das in den Programmen 2001 – 2004 auftritt.
Ensemble Progress
Das Ensemble Progress wurde im Dezember 2002 von Sylvia Hinz mit Schüler*innen der Studienvorbereitenden Abteilung der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg und Gästen gegründet. Beteiligt sind sowohl Instrumentalist*innen als auch Sänger*innen. Schwerpunkte sind Improvisation, Erarbeitung von Werken in variabler Besetzung und (Ur-) Aufführungen von speziell für das Ensemble Progress komponierten Werken mit Verbindung von Text und Musik, ebenso interdisziplinären Projekte wie z. B. Musik und Malerei.
ensemble multiphon
Das ensemble multiphon ist das Nachwuchsensemble für Neue Musik der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg in bunt gemischter Besetzung unter der Leitung von Sylvia Hinz. Das Programm beinhaltet für das Ensemble komponierte Werke, Improvisationen und Fluxus-Stücke. 2004 gab das Ensemble sein Debüt-Konzert im Rahmen der Klangwerkstatt, seitdem ist es fast in jedem Jahr dabei gewesen, immer wieder auch als „gemischtes Doppel“ mit dem Ensemble Progress. Das Alter der Ensemblemitglieder liegt zwischen 7 und 13 Jahren.
Schon frühzeitig hob Sylvia Hinz die scharfe Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen, Lai*innen und Profis auf und lud Musikerkolleg*innen zu ihren Projekten ein, um gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen die Programme zu erarbeiten. 2007 verbanden sich so beispielsweise ensemble multiphon und Ensemble Zwischentöne zu einer Uraufführung von Bill Dietz. 2010 spielte Mathias Spahlinger bei der Uraufführung seines Konzeptstückes ausgang zusammen mit dem Ensemble Progress.
progress – das festivalensemble
2019 mündete dies in die Gründung eines Festivalensembles mit Musikschüler*innen und Profimusiker*innen ein, das sich mit der großen Raumkomposition In a large open space von James Tenney vorstellte. 2020 standen auf dem Programm des progress festivalensemble ein Werk der kanadischen Komponistin und Multimedia-Künstlerin Tina Pearson sowie eine Uraufführung der iranischen Komponistin Golfam Khayam, die dieses als Auftragswerk für das Ensemble schrieb.
Konzeptstücke, offenen Partituren, graphische Notationen, Performances
Programmatische Ansätze
In einem von Sylvia Hinz‘ ersten Klangwerkstatt-Konzerten, noch mit einer unbenannten Gruppe blockflötenspielender Musikschüler*innen, zeichnen sich bereits wichtige Grundtendenzen ab. Auf dem Programm von 1998 stehen Stücke von Gerhard Braun, einem Pionier der Entwicklung avantgardistischer Flötenspieltechniken im 20. Jahrhundert, sowie die Thirteen Studies for Instruments von Frederic Rzewski. Der US-amerikanische Musiker Rzewski verbindet in seiner Musik improvisatorische mit kompositorischen Elementen.
Konzeptstücke oder offene Partituren, wie Frederic Rzewskis Stück Thirteen Studies for Instruments ein Beispiel darstellt, sind ein zentrales Merkmal von Sylvia Hinz‘ Programmen. Sie übertragen den Musiker*innen ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Selbstbestimmung bei der Interpretation. Zugleich ermöglichen diese Stücke, Spieler*innen auch mit unterschiedlichen instrumentalen Kenntnissen im gemeinsamen Spiel zusammen zu bringen, da virtuose, technische Fähigkeiten häufig nicht im Zentrum stehen.
Neben den Konzeptstücke und offenen Partituren spielen in den Programmen von Sylvia Hinz graphisch notierte Kompositionen eine große Rolle. Immer wieder erarbeitet Sylvia Hinz mit ihren Ensembles auch Gruppenimprovisationen und Kollektivkompositionen. Die Herangehensweise ist dabei oft interdisziplinär: In der Workshoparbeit stehen neben der musikalisch-klanglichen Erforschung auch die Gestaltung von Bildern und Objekten und die Arbeit an Texten.
Und ebenso nimmt Hinz häufig performative Stücke in ihre Programme auf. Sie vereinen musikalische mit theatralen, poetischen, visuellen und anderen künstlerischen Ausdrucksformen und thematisieren – als Kunst der Ideen – Tabu- und Traditionsbruch, Interaktionen zwischen Persönlichkeit und Umfeld, Darsteller*innen und Publikum.
Bill Dietz' Ma Première Claque (2007) ist ein solch performatives Stück. Es nimmt nicht die erklingende Musik, sondern die Rolle von Musiker*innen und Publikum in den Blick. 2007 führte ensemble multiphon zusammen mit Ensemble Zwischentöne dieses Stück bei der Klangwerkstatt auf.
Auch das im Programm der Klangwerkstatt Berlin am 2. November 2007 direkt folgende Stück Exercitium von Peter Ablinger, aufgeführt vom Gitarristen Seth Josel als Gast des Ensembles Zwischentöne, setzt diese Fragen auf andere Weise fort.
2010 Die Otto-Wels-Grundschule und ensemble multiphon
Prose Collection
Bei der Klangwerkstatt Berlin 2010 war Sylvia Hinz mit gleich drei Konzerten vertreten: eines, dass das Musikschul-Kinderensemble multiphon mit einer vierten Klasse der Kreuzberger Otto-Wels-Grundschule verband, eines mit dem Musikschul-Jugendensemble Progress und eines mit ihrem Profi-Trio XelmYa. Alle drei Konzerte waren programmatisch eng miteinander verzahnt. In ihrem Zentrum standen konzeptuelle Stücke zweier Komponisten – von Christian Wolff und Mathias Spahlinger.
Für das Projekt mit der Klasse 4a der Otto-Wels-Grundschule wählte Sylvia Hinz die Prose Collection (1968-71/1985) des US-amerikanischen Komponisten Christian Wolff aus. Sie entstanden im Umkreis der Fluxusbewegung und avancierten zu einem Klassiker früher konzeptueller Stücke. Drei Stück dieser Sammlung – stones, sticks und play – erarbeiteten multiphon und die Kreuzberger Grundschüler zusammen mit den Musiker*innen und Komponist*innen Alexa Renger, Bill Dietz, Marika Gejrot, Bardo Henning, Martin Supper und Sylvia Hinz und zeigten vier Fassungen dieser Stücke. Eine fünfte Fassung steuerte Ensemble Progress bei.
Die Prose Collection ist eine Sammlung von Textpartituren – 14 kurze, verbal formulierte Musikkonzepte. Realisiert werden diese zumeist mit alltäglichen, allgemein verfügbaren Gegenständen, so wie es in den Stones heißt: „Mache Klänge mit Steinen, entlocke den Steinen Geräusche … reibe dafür vor allem Steine an Steine“ usw. Christian Wolff schrieb Stones für Kuntstudent*innen, mit denen er musikalisch arbeiten wollte, die aber – so wusste er – häufig weder Noten lesen noch ein Instrument spielen können.
Frog Peak Music (a composers' collective)
Die Konzepte erfordern keine besonderen musikspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten. Das Entdecken von Klängen, ihrer Veränderbarkeit und Schönheit steht im Mittelpunkt, genauso wie die eigene Vorstellungskraft, das Hören und die emotionale Verbindung zu den Klängen. So heißt es am Ende von Sticks: „You can also do without sticks but play the sounds and feelings you imagine a performance with sticks would have.“
Die Arbeit an den Stücken der Prose Collection setzt die Bereitschaft voraus, aus relativ offen formulierten Handlungsanweisungen im Miteinander eigenständig Musikstücke zu entwickeln. Der Prozess der Erarbeitung in einer offenen Workshopsituation ist von größerer Bedeutung als der Moment der Aufführung vor Publikum.
Die Workshoparbeit mit der Klasse 4a der Kreuzberger Otto-Wels-Grundschule und die Aufführung der Prose Collection bei der Klangwerkstatt Berlin am 6. November 2010 im Kunstquartier Bethanien wurde in einer Dokumentation festgehalten.
2010 Arbeit mit Mathias Spahlinger
ausgang – rundweg
Ein weiteres anspruchsvolles Projekt realisierte Sylvia Hinz bei der Klangwerkstatt 2010. Für das Jugendensemble Progress wie für ihr eigenes Profitrio XelmYa schrieb der Komponist Mathias Spahlinger als Auftragswerke zwei neue Konzeptstücke: ausgang und rundweg, die gemeinsam den Werkzyklus konzepte und varianten bilden. In diesen beiden Stücken entwickelt Spahlinger Ideen seines ein Jahr zuvor in Donaueschingen uraufgeführten großen Orchesterstückes doppelt bejaht weiter.
ausgang besteht aus einer siebenseitigen Partitur, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Sie vereint verbale Beschreibungen, Graphiken und Momente einer Musiknotation. Den Ablauf beschreibt Spahlinger folgendermaßen: „ausgang für ensemble beginnt mit einem endlos-kontinuum, einer schleife, die, in zwei phasen, aufwärts und abwärts, stufenlos immer wieder in ihren eigenen beginn mündet, um dann, nach ausführlichen einlassungen auf andere konzepte, einen ausgang zu finden.“ (Werkkommentar, Programmheft der Klangwerkstatt Berlin 2010) Viele Entscheidungen müssen von den Musiker*innen getroffen werden – alleine oder in der Gruppe zusammen. In den Proben werden nach Lösungen für Klänge, Abläufe, Formen gesucht.
Sowohl Sylvia Hinz und Mathias Spahlinger haben diesen anspruchsvollen Probenprozess mit den Jugendlichen des Ensemble Progress intensiv begleitet. Mathias Spahlinger fertigte eine Vielzahl von Skizzen an, die die sich aus der Partitur ergebenden Fragen und Detailprobleme veranschaulichen. Zugleich brachte er sich in den Probenprozess auch als Instrumentalist ein und war Teil der Uraufführung mit dem Ensemble Progress am 6. November 2010.
Das zweite Stück von den konzepten und varianten – rundweg für Blockflöte, Violine und Violoncello – wurden einen Tag später, am 7. November 2010, bei der Klangwerkstatt Berlin von dem Trio XelmYa mit Sylvia Hinz (Blockflöte), Alexa Renger (Violine) und Marika Gejrot (Violoncello) uraufgeführt. 2015 wurde das Trio (mit Ulrike Ruf am Cello) mit diesem Stück zu dem Spahlingerfest nach Chicago eingeladen. Anlässlich dessen entstanden die Probendokumentation und der Aufführungsmitschnitt.
2014 Die Charlotte-Salomon-Grundschule
De/con/struct
2014 lud Sylvia Hinz ein weiteres Mal eine der umliegenden Kreuzberger Grundschulen zu einem Projekt bei der Klangwerkstatt Berlin ein. Unter dem Namen ensemble de/con/struct vereinten sich die Gecko-Klasse (4. bis 6. Klassenstufe) der Charlotte-Salomon-Grundschule, Musikschulschüler*innen von Sylvia Hinz aus den Ensembles multiphon, Progress und andererseits sowie junge Schlagzeuger des Ensemble Beatlab aus Münster unter der Leitung von Jens Brülls.
„Architektur ist gefrorene Musik“ (Arthur Schopenhauer) – unter diesem Motto ging es in dem Projekt Grund-Riss. metal de/con/struction um die Verbindung von Musik und bildender Kunst. Unter Anleitung der Ensembleleiter*innen bauten die Kinder und Jugendlichen eine Klangskulptur, die gleichzeitig architektonisches Gebilde und Musikinstrument war, und entwickelten mit dieser Skulptur eigene Musikstücke.
Das Projekt begann mit einer Workshopphase, in der die Beteiligten die Klangskulptur bauten und Klänge erprobten. Gemeinsam überlegten sie sich Abläufe und Ereignisse und hielten diese in Notizen und Zeichnungen fest. Die Kinder hatten dabei größtmögliche Freiheit, eigene Ideen mit einzubringen. So wurde auch ein Rap, selbstgetextet von zwei der Schüler*innen, Teil des Stücks.
Sylvia Hinz begleitete die Schüler*innen während des Projekts mit einem Videotagebuch, das die wichtigsten Stationen in kurzen Impressionen festhielt: Workshoparbeit – Proben in den Sophiensaelen – Der große Tag.
Das mit den Schüler*innen erarbeitetet Stück bestand aus drei Teilen, die Rahmen und Mitte des Konzerts bei der Klangwerkstatt Berlin am 8. November 2014 in den Sophiensaelen bildeten. Die anderen Konzertteile wurden von den Ensembles Beatlab, andererseits, Ensemble Progress und ensemble multiphon in wechselnden Besetzungen bestritten.
Kinder- und Jugendarbeit von 1998 – 2020
Programme
In ihren mehr als 20 Jahren Klangwerkstatt hat Sylvia Hinz mit ihren verschiedenen Kinder- und Jugendensembles um die 120 Werke zur Aufführungen gebracht, darunter mehr als 40 Uraufführungen – von Matthias Kaul, Helmut Zapf, Aaron Bielish, Golfam Khayam, Bardo M. Henning, Mathias Spahlinger u. v. a. m. Immer wieder regte sie auch ihre Schüler*innen an, selbst komponierend tätig zu werden, als Einzelpersonen, aber auch und vor allem in der Gruppe, im gemeinsamen, eigenverantwortlichen und gleichberechtigten Zusammenspiel.
30 Jahre Klangwerkstatt Berlin. Das Online-Festival