Einblicke in 30 Jahre Klangwerkstatt Berlin
Musikalische Partizipation
Raum für Experimente
Das Ensemble Zwischentöne
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Eine Klangwerkstatt suchte Peter Ablinger Ende der 1980er Jahre im Berliner Kreuzberg. Es sollte improvisiert werden. Neue Musik und musikalische Konzepte sollten ausprobiert werden. Eingeladen waren Musikschulschüler*innen und interessierte Lai*innen. Der Kurs und die sich daran anschließende Arbeit orientierten sich vorrangig an allem jenseits des traditionell Komponierten. Es war ein Kurs für Neue Musik und experimentelle Spielpraktiken, den Peter Ablinger 1988 in der Musikschule Kreuzberg ankündigte. Er wurde zur Initialzündung der Klangwerkstatt Berlin.
Neue Musik in Kreuzberg – Der Anfang
Die ersten Konzerte
Der Kurs für Experimente wird öffentlich
Es überrascht nicht, sondern ist heute gängige Praxis, dass sich Neue-Musik-Ensembles meist aus entsprechenden Kursen heraus gründen. Allerdings finden sich diese Kurse im Kontext von etablierten Festivals, Musikhochschulen oder Meisterkursen. Im Frühjahr 1989 entstand in Berlin-Kreuzberg, an einer städtischen Musikschule, ein Ensemble für Neue Musik und Improvisation – ein offenes Ensemble. Offen vor allem mit Blick auf die Mitglieder. Denn es war zunächst lediglich das Interesse für das Experimentelle und nicht die instrumentale Fähigkeit ausschlaggebend, um Teil zu haben.
Der Musikschulkurs war nicht nur ein Raum, um experimentelle Stücke oder Konzepte zu erproben, sondern bot zugleich die Möglichkeit, solche zu entwickeln. Mit einem Abschlusskonzert im Sommer 1989 verlagerten die Musiker*innen schließlich die Experimentalanordnung in die Öffentlichkeit. Das neu entstandene Ensemble stellte sich erstmalig vor.
Bereits früh suchte das Ensemble Zwischentöne aber auch den Kontakt zu anderen Neue-Musik-Ensembles und Solist*innen der Stadt. So kam es etwa im November 1990 zu einem Konzert mit Mitgliedern des Ensembles work in progress und anderen Berliner Musiker*innen. Diese ständige Erweiterung des Ensembles wurde zum Programm.
Zwischentöne und Klangwerkstatt
Ein Ensemble mit Festival
In der Berliner Aufbruchszeit der 1990er Jahre und weit darüber hinaus brachte das Ensemble Zwischentöne zahlreiche Uraufführungen von Komponist*innen wie Sven-Åke Johansson, Juliane Klein, Alvin Lucier, Isabel Mundry, Georg Nussbaumer u. v. a. auf die Bühne. Auch die Ensemblemitglieder selbst entwickelten Stücke für das Ensemble. Das Ensemble erschloss neben neuen musikalischen Konzepten auch neue Programmformate und Spielorte der Stadt. Vor allem waren das Ensemble und die ersten Konzerte konzeptuelle Grundlage für das sich daraus entwickelnde Festival.
Bei der ersten Klangwerkstatt 1990 standen auch mehrere Stücke von Peter Ablinger selbst auf dem Programm, u. a. die Uraufführungen von Ohne Titel / 3 Flöten I und Ins Nasse (Aria al Fresco), in denen das Ensemble konzeptuelle Ansätze auf die Bühne brachte.
Im Programmheft der zweiten Klangwerkstatt im März 1991 findet sich dann erstmalig der Name Zwischentöne für das neugegründete Ensemble. Der Zusatz Workshop-Ensemble der Musikschule Kreuzberg fiel später weg.
Von der Gründung an über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg prägte das Ensemble auch die Klangwerkstatt Berlin. Mit seinen teils experimentellen Programmen, dem partizipativen Modellcharakter und der musikalischen Neugier war es eine der treibenden Kräfte für das Festival.
Das Ensemble als Experimentierraum und Werkstatt
Zwischentöne über Zwischentöne
Material und Genres
Das Ensemble selbst verstand sich als experimenteller Raum oder Werkstatt. Das Ensemble begab sich dabei stets auf ein Terrain, welches die musikalische Hochkultur nicht selten als akustischen Abfall verschmähte. Den traditionellen Instrumenten wurden dabei nicht nur neue Töne entlockt, sondern Objekte fernab der Musik und deren akustische Qualitäten wurden Teil des Klangapparates.
Seit Anbeginn wurde nach klanglichen und konzeptuellen Schnittstellen musikalischer Genres gesucht. Dabei standen sich immer wieder unterschiedliche Musiken und Musizierhaltungen gegenüber: War es einmal die Interpretation der Noten eines komponierten Stückes, war es im nächsten Augenblick eine experimentelle Jazzform oder die Improvisation, bei der die Musiker*innen unmittelbar aufeinander reagieren mussten.
Graphische Notationen
Auch die graphische Erweiterung der westeuropäischen Notationstradition spielte eine große Rolle. Ein Beispiel dafür ist das Stück Annahme 2 (1988/89) von Peter Ablinger, das 1991 erstmals bei der Klangwerkstatt auf dem Programm stand. 1992 führte Roland Dahinden (Posaune) daraus Annahme 2C bei der Klangwerkstatt auf.
Ausführender: Roland Dahinden, Posaune
Zusammenarbeit mit Komponist*innen
Für das Ensemble war es selbstverständlich, dass Komponist*innen als Gleichberechtigte bei (Ur)Aufführungen mitwirkten. Dies gelang vor allem dank eines eher ‚unprofessionellen Luxus‘, musikalische Konzepte und Stücke in langen Probenphasen intensiv zu erkunden. In diesen Phasen erarbeiteten sich die Musiker*innen nicht nur Stücke unterschiedlichster Genres, es entstanden auch neue Stücke aus dem Zusammenspiel von Ensemble und Komponist*in.
Der Entdeckergeist des Ensembles reichte weit über rein instrumentelle Stücke hinaus bis hin zu musiktheatralen Arbeiten und Performances. Zentral war dabei die Teilhabe der Ensemblemitglieder. Programme mit Werken notierter und nicht notierter Musik, Stücke mit verbalen Spielanweisungen oder graphischen Notationen fordern letztlich ein ganz besonderes Engagement jedes einzelnen Musikers – egal ob Laienmusiker*innen und professionellen Musiker*innen. Gerade dieses Zusammenspiel oder besser die ‚Offenohrigkeit‘ der Musiker*innen brachte ebenjene ‚Zwischentöne‘ hervor, nach denen Ablinger und das Ensemble suchten.
Starren Träumen Wittern Zögern von Michael Hirsch, ein Auftragswerk der Musikschule Kreuzberg, entstand in einem solchen sehr offenen Prozess, in den jede/r einzelne Solist*in des Ensemble Zwischentöne einbezogen wurde. Im Programmheft beschreibt Hirsch diesen Kompositionsprozess als einen ständigen Wechsel zwischen der üblichen Arbeit am Schreibtisch und der experimentellen Entwicklung mit den Musiker*innen während der Proben.
Starren Träumen Wittern Zögern wurde am 8. November 1998 vom Ensemble Zwischentöne im Rahmen der Klangwerkstatt uraufgeführt.
Ensemblemitglieder komponieren selbst
Das Ensemble Zwischentöne bot einen Raum, den auch die Mitglieder als Experimentierfeld nutzten. Auch sie komponierten schließlich für das Ensemble selbst. Das Repertoire umfasste daher auch Stücke von Bill Dietz, Ellen Fricke, Robin Hayward, Rainer Killius, Gisela Klein, Alex Kolkowski, Christos Kokkolatos, Inge Morgenroth, Natalia Pschenitschnikowa und Chiyoko Szlavnics.
Ausführende: Ellen Fricke und Christos Kokkolatos
Bereits in den 1990er Jahren hinterfragte das Ensemble zudem die klassischen Aufführungsorte von Musik und bespielte etwa die Toiletten der Schaubühne am Lehniner Platz. Diese Suche nach neuen Raum- und Hörerfahrungen setzte sich seit 2007 nun unter der Leitung von Bill Dietz weiter fort: So bereits im selben Jahr mit Krieg der Sprachen, einer 30tägigen Konzertreihe des Ensembles im Berliner Stadtteil Wedding, 2011 mit David Moss’ Sounding Neukölln – the Parade oder 2013 mit Bill Dietz’ Das Wort haben die Benützer einem Meta-Tutorial in Zusammenarbeit mit Janina Janke zur Bespielung von Häuserfassaden. Bis 2015 waren unzählige Zwischentönen gefunden, verformt, verloren, verstärkt … Töne zwischen den Tönen, Töne zwischen den Akteuren und bewegte Töne zwischen dem Publikum.